Chor Geschichte und Entwicklung

Über ein halbes Jahrhundert lang zählt der Chor nun zu den führenden Chorvereinigungen Deutschlands; er kann auf glanzvolle Phasen ebenso zurückblicken wie auf schwierige Jahre seiner Existenz.

Die Geschichte des Münchener Bach-Chores ist mit der protestantischen Kirchenmusiktradition in Deutschland untrennbar verbunden. Dabei kann seine Entwicklung aber nie losgelöst von gesellschaftlichen und manchmal auch politischen Gegebenheiten der jeweiligen Epoche gesehen werden. Ebenso wie sich in der ganz individuellen Entwicklung des Ensembles von Anfang an und in immer stärkerem Maß bis heute die zentralen Fragen sich verändernder Musizierpraxis und Musikrezeption seit dem Zweiten Weltkrieg widerspiegeln.

Karl Richter (1954-1981)

Die Anfänge
1951 übernahm der junge Dirigent und Organist Karl Richter einen Lehrauftrag an der Münchner Hochschule für Musik und gleichzeitig die Kantorenstelle an der evangelischen Kirche St. Markus in München. Mit der Position als Kantor war die Leitung des Heinrich-Schütz-Kreises verbunden, einer Chorvereinigung, die sich bereits unter Richters Vorgänger, Professor Michael Schneider, intensiv besonders der Pflege des Werkes von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach gewidmet hatte.

 

Karl Richter, 1926 als viertes Kind einer Pfarrersfamilie in Plauen/Vogtland geboren, war 1938 in den Dresdner Kreuzchor aufgenommen worden. Noch während seiner Schulzeit war er als außergewöhnlich begabter Organist aufgefallen und hatte Unterricht bei Karl Straube am Kirchenmusikalischen Institut des Konservatoriums in Leipzig erhalten. Nach einer zweijährigen Unterbrechung durch Einberufung und Kriegsgefangenschaft (1943-45) konnte er seine Studien in Leipzig bei K. Straube und später Günther Ramin fortsetzen. Nach dem Staatsexamen wurde dem erst 23-jährigen Richter 1949 das Amt des Organisten an St. Thomas zu Leipzig übertragen.

 

Die Übersiedelung Richters von Leipzig nach München 1951 war der Anfangspunkt einer beispiellosen Weltkarriere. Dem jungen Musiker, der sich von Beginn an zum Ziel gesetzt hatte, sich in Süddeutschland einen eigenen Wirkungskreis nach dem Vorbild der großen sächsisch-protestantischen Musiktradition zu schaffen, gelang es, den Heinrich-Schütz-Kreis schnell für seine Arbeit zu begeistern. In kürzester Zeit erfuhr das Ensemble regen Zulauf von begeisterten jungen Laiensängern und damit eine entscheidende Steigerung der künstlerischen Qualität.

 

Im katholisch geprägten München stieß Karl Richter mit seinen Ambitionen in ein Vakuum: Auch wenn es jährliche Aufführungen der „Matthäus-Passion“ am Karfreitag schon seit langem gegeben hatte, waren doch weite Teile des Bachschen Werks, insbesondere die Motetten und Kantaten, dem Publikum nahezu unbekannt. Richter setzte von Anfang an Akzente in der Programmgestaltung. In Zusammenarbeit mit dem evangelischen Dekan Theodor Heckel richtete er 1952 die Münchner Abendmusiken ein: Einmal monatlich, jeweils am letzten Freitag, erklangen geistliche Werke für Chor und Orgelmusik in St. Markus. Das Publikum erhielt zu diesen Veranstaltungen freien Eintritt, lediglich der Kauf eines Programms für wenige Pfennige war Pflicht. Das Programmheft zur ersten Abendmusik benennt bereits deutlich einige der Programmschwerpunkte, die für den Münchener Bach-Chor über Jahrzehnte maßgeblich waren und dies großteils auch bis heute geblieben sind: Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, auch Georg Friedrich Händel standen im Zentrum der Arbeit, aber auch frühe Werke der Kirchenmusik und die großen Komponisten der Klassik und der Romantik (etwa Johannes Brahms, Anton Bruckner und Max Reger) und des 20. Jahrhunderts wurden erarbeitet. Außerhalb dieser regelmäßigen Abendmusiken führten Karl Richter und der Chor mit der „Messe in h-Moll“ und der „Johannes-Passion“ bereits 1952 große Bachsche Werke auf.

 

Der Erfolg der neuen Veranstaltungen in St. Markus war überwältigend. Ein durch die Entbehrungsjahre des Krieges und der ersten Zeit des Wiederaufbaus kulturell regelrecht „ausgehungertes“ Publikum entdeckte die Welt eines Johann Sebastian Bach und war fasziniert von dem jungen in Leipzig bei K. Straube und später Günther Ramin fortsetzen. Nach dem Staatsexamen wurde dem erst 23-jährigen Richter 1949 das Amt des Organisten an St. Thomas zu Leipzig übertragen.

 

Die Übersiedelung Richters von Leipzig nach München 1951 war der Anfangspunkt einer beispiellosen Weltkarriere. Dem jungen Musiker, der sich von Beginn an zum Ziel gesetzt hatte, sich in Süddeutschland einen eigenen Wirkungskreis nach dem Vorbild der großen sächsisch-protestantischen Musiktradition zu schaffen, gelang es, den Heinrich-Schütz-Kreis schnell für seine Arbeit zu begeistern. In kürzester Zeit erfuhr das Ensemble regen Zulauf von begeisterten jungen Laiensängern und damit eine entscheidende Steigerung der künstlerischen Qualität.

 

Karl Richter, 1954

Im katholisch geprägten München stieß Karl Richter mit seinen Ambitionen in ein Vakuum: Auch wenn es jährliche Aufführungen der „Matthäus-Passion“ am Karfreitag schon seit langem gegeben hatte, waren doch weite Teile des Bachschen Werks, insbesondere die Motetten und Kantaten, dem Publikum nahezu unbekannt. Richter setzte von Anfang an Akzente in der Programmgestaltung. In Zusammenarbeit mit dem evangelischen Dekan Theodor Heckel richtete er 1952 die Münchner Abendmusiken ein: Einmal monatlich, jeweils am letzten Freitag, erklangen geistliche Werke für Chor und Orgelmusik in St. Markus. Das Publikum erhielt zu diesen Veranstaltungen freien Eintritt, lediglich der Kauf eines Programms für wenige Pfennige war Pflicht. Das Programmheft zur ersten Abendmusik benennt bereits deutlich einige der Programmschwerpunkte, die für den Münchener Bach-Chor über Jahrzehnte maßgeblich waren und dies großteils auch bis heute geblieben sind: Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, auch Georg Friedrich Händel standen im Zentrum der Arbeit, aber auch frühe Werke der Kirchenmusik und die großen Komponisten der Klassik und der Romantik (etwa Johannes Brahms, Anton Bruckner und Max Reger) und des 20. Jahrhunderts wurden erarbeitet. Außerhalb dieser regelmäßigen Abendmusiken führten Karl Richter und der Chor mit der „Messe in h-Moll“ und der „Johannes-Passion“ bereits 1952 große Bachsche Werke auf.

 

Der Erfolg der neuen Veranstaltungen in St. Markus war überwältigend. Ein durch die Entbehrungsjahre des Krieges und der ersten Zeit des Wiederaufbaus kulturell regelrecht „ausgehungertes“ Publikum entdeckte die Welt eines Johann Sebastian Bach und war fasziniert von dem jungen Laienensemble, das mit bedingungslosem Einsatz seinem Leiter folgte. Schon im ersten Jahr war die Kirche am Freitagabend oft völlig überfüllt. 1954 schließlich konnten die Abendmusiken um einen wichtigen Bereich erweitert werden: In 14-tägigem Rhythmus wechselten sich nun Motetten- und Kantatenaufführungen ab. In dieses Jahr fällt auch die eigentliche Gründung des Münchener Bach-Chores. Am Jahresanfang hatte sich noch der Heinrich-Schütz-Kreis präsentiert, das Programm der Abendmusik vom 28. Mai 1954 weist das Ensemble erstmalig als „Münchener Bach-Chor“ aus. Auch unter neuem Namen blieb der Chor der Markuskirche verbunden, organisatorisch und rechtlich aber war er von nun an ein eingetragener Verein.

 

Karl Richter, 1955

Rasch nahm die Zahl der Konzertverpflichtungen zu. Bereits das Jahresprogramm 1955, unter dem Gesamtmotto „München bekennt sich zu Johann Sebastian Bach“, weist die für heutige Verhältnisse unvorstellbare Zahl von nahezu 30 Veranstaltungen des Bach-Chores aus, außer den beiden Bachschen Passionen, der „Messe h-Moll“, dem „Weihnachtsoratorium“ und dem Weihnachtsliederabend fanden 9 Motettenabende, 9 Kantatenkonzerte (mit insgesamt 18 der Kirchenkantaten Bachs), vier Orgelkonzerte und 3 Kammermusik-Abende statt.

Die quantitative Ausdehnung der Programme brachte rasch auch eine Erweiterung des künstlerischen Repertoires mit sich. Zwar bildete in den Anfangsjahren – wie auch später – das Schaffen des Namenspatrons immer den Kern der Arbeit des Münchener Bach-Chores, doch finden sich daneben z.B. in den Jahren 1955 und 1956 auch etliche Werke alter Meister; überraschenderweise liegt außerdem bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ein deutlicher Schwerpunkt auf der Musik des 20. Jahrhunderts mit Werken von Hugo Distler, Ernst Pepping, Johann Nepomuk David, Zoltan Kodály und Heinrich Kaminski. Auch außerhalb von München wurde man nun auf Karl Richter und seinen Chor aufmerksam: Erste auswärtige Verpflichtungen, zunächst innerhalb Bayerns, ergänzten das Programm, außerdem produzierte Telefunken/Decca ab 1955 erste Schallplatteneinspielungen mit Werken von Bach, Händel und Mozart. Dabei wirkten bereits viele spätere ständige Mitglieder des Münchener Bach-Orchesters mit, das zu diesem Zeitpunkt allerdings noch den schlichten Titel „Ein Kammerorchester“ trug.

Erste Schritte zum Weltruhm: Die Bach-Woche Ansbach
Ab 1956 wurde Karl Richter als Solist und Dirigent regelmäßig zur Bach-Woche Ansbach verpflichtet, die zunächst noch jährlich, später im zweijährigen Turnus stattfand.

In der Abgeschiedenheit des Klosters Heilbronn, in dem Chor, Orchester, Solisten und Dirigent zu einer mehrwöchigen Klausur zusammenfanden, waren ideale Arbeitsbedingungen für das ganze Ensemble gegeben. Fern von Terminzwängen und Alltagsgeschäften konnte man sich in Ruhe der Vorbereitung der Konzerte widmen und notwendige Aufbau- und Perfektionierungsarbeit leisten. Die Tagespläne des Chores zeugen beispielsweise davon, dass in diesen Wochen für jede Stimmgattung täglich mindestens eine halbe Stunde Stimmbildung vorgesehen war. Über viele Jahre hinweg betreute Professor Hanno Blaschke (Musikhochschule München) die Sängerinnen und Sänger als Stimmbildner.

Ansbach machte den Chor endgültig zu einer verschworenen Gemeinschaft und band auch viele Instumental- und Vokalsolisten dauerhaft in enger Zusammenarbeit an Karl Richter. Für die Chorchronik sei auch vermerkt, dass in dieser Zeit manch lebenslange Freundschaft zwischen Choristen und Musikern geknüpft wurde und natürlich auch Raum für gemeinsame Freizeitbeschäftigung war, wovon beispielsweise die Bilder vom gemeinschaftlichen Fußballturnier zeugen.

Karl Richter, 1963

Die kleine fränkische Stadt Ansbach wurde in jenen Jahren zum Treffpunkt der Musiker-Elite aus der ganzen Welt. Dies sicherte dem Bach-Fest regelmäßig die internationale Aufmerksamkeit des Publikums und der Fachwelt. Bis in die sechziger Jahre hinein blieben Karl Richter und sein Chor die prägenden Interpreten. Am Rande der Bach-Woche Ansbach kam es für den Chor allerdings auch zu Begegnungen mit Persönlichkeiten, die erst viel später in seiner Geschichte eine wichtige Rolle spielen würden: Ab 1961 konzertierte der spätere Künstlerische Leiter Hanns-Martin Schneidt als Dirigent und Solist regelmäßig in Ansbach, 1964 saß Ekkehard Tietze, der Freund Richters aus der Leipziger Zeit und spätere Interimsleiter des Chores, bei einer Aufführung der „Matthäus-Passion“ an der Orgel.

 

Die fulminanten Erfolge des Chores in Ansbach, die u.a. durch Rundfunk-Übertragungen dokumentiert wurden, machten ein internationales Publikum auf das Ensemble aufmerksam. Erste Gastspieleinladungen ins Ausland folgten (1957, 1958 und 1959 jeweils nach Italien, 1962 nach Paris). Das Jahr 1958 markierte außerdem den Beginn einer über zwanzig Jahre währenden exklusiven Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft, vor allem mit deren Archiv-Produktion.

Am Ende der ersten Dekade von Richters Wirken war München zur zweiten Bach-Stadt in Deutschland geworden. Der Ruf des Münchener Bach-Chores als eines einzigartigen jungen Ensembles begann sich in alle Welt zu verbreiten: „Ohne zu ermüden, ohne der Lethargie der Erfolgreichen anheim zu fallen, vollzog er eine Entwicklung, die nichts Geringeres war als die Selbstentfaltung einer der wenigen Elementarbegabungen unserer Gegenwart. 10 Jahre Karl Richter in München – das bedeutet die Einbürgerung der besten Thomaskirchentradition in unserer Stadt. Wo Richter wirkt, ist das beste Erbe Bachs, das Leipzig der Motetten, Passionen und Orgelfugen!“ (aus einem Artikel von R. Müller, 1962)

 

Auf dem Höhepunkt des Erfolgs: Der Münchener Bach-Chor zwischen 1964 und 1980
Im Jahr 1964 begann mit einer dreiwöchigen Konzertreise nach Italien eine ausgedehnte Reisetätigkeit des Münchener Bach-Chores. Dem Wunsch der einladenden Veranstalter entsprechend, kamen dabei vorwiegend die Werke Johann Sebastian Bachs zur Aufführung. Unter anderem war der MBC in folgenden Ländern zu Gast:

1964

1965

1966

1967

1968

1969

1970

1972

1973

1974

1976

1978

1979

1980

Italien

USA, Frankreich

Finnland, England

Österreich, Kanada, USA, Italien, Schweiz, England

Sowjetunion

Japan

Sowjetunion

Griechenland, USA

England

Schweiz, Österreich

Frankreich

Jugoslawien

Frankreich, Spanien

Luxemburg

Unabhängig von diesen großen Reiseprojekten begann in jener Zeit die regelmäßige Zusammenarbeit mit namhaften Veranstaltern, z. B. dem Großen Festspielhaus in Salzburg (jährlich zu Weihnachten) und den Sommerkonzerten Ottobeuren (jährlich im Sommer). Die regelmäßigen Konzertverpflichtungen in München wurden selbstverständlich in vollem Umfang beibehalten, lediglich die Abendmusiken konnten nicht mehr im gewohnten 14-tägigen Rhythmus stattfinden.

 

Fragt man die Chormitglieder dieser Zeit nach diesen Glanzjahren in der Geschichte des Bach-Chores, so wissen sie von den mitreißenden Konzerterlebnissen zu berichten, von Empfängen in Botschaften, vom nicht enden wollenden, begeisterten Applaus des Publikums, von lustigen Begebenheiten am Rande der Konzerte. Vor allem aber erzählen sie vom absoluten Einsatz jedes einzelnen Sängers für seine Gemeinschaft und von der absoluten Hingabe an die Sache. Anders ist auch kaum zu erklären, wie es möglich war, dass die rund 130 Mitglieder dieses Laienensembles wie selbstverständlich Familie und Beruf hintanstellten, bis zu 100 Abende im Jahr dem Chor widmeten und jahrelang fast vollständig auf privaten Jahresurlaub verzichteten.

Dabei waren die äußeren Umstände der Reisen nicht immer mit heutigen Maßstäben zu vergleichen: Nach Süditalien beispielsweise reisten Chor, Orchester, Solisten und Dirigent 30 Stunden lang mit dem Sonderzug, und es wurde dennoch nicht als ungewöhnlich empfunden, dass direkt nach der Ankunft spätabends vor Ort noch eine Probe angesetzt war. Jede Reise hatte ihre eigenen Erlebnisse und Höhepunkte – was beispielsweise einen Laiensänger bewegt, wenn es ihm vergönnt ist, in einer ausverkauften Carnegie-Hall in New York zu singen, kann wohl im Rahmen einer solchen Chronik ohnehin nicht mit Worten erfasst werden.

In allen Einzelheiten jedoch ist allen Beteiligten bis heute die erste Reise in die damalige Sowjetunion im Gedächtnis. Die Konzerte des Ensembles in Moskau und Leningrad (dem heutigen Sankt Petersburg) im April 1968 waren im Rahmen eines auf höchster politischer Ebene vereinbarten Kulturaustausches möglich geworden. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren angespannt, offizielle Aufführungen geistlicher Werke und damit der Musik Bachs hatte es im atheistischen Russland seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Als die Musiker in der Lufthansa-Sondermaschine nach Moskau saßen, konnten sie nicht ahnen, was sie bei den Konzerten erwarten würde: Die Karten, obwohl zu horrenden Preisen angeboten, waren innerhalb weniger Stunden restlos ausverkauft gewesen, und etliche Besucher, die zum Teil von sehr weit her angereist waren, waren leer ausgegangen. Der Andrang vor dem Tschaikowsky-Konservatorium war so groß, dass die glücklichen Besitzer von Eintrittskarten nicht weniger als 4 Polizeisperren passieren mussten, um in den Saal zu gelangen. Am zweiten Abend schließlich durchbrachen die Menschenmassen die Sperren. Über verborgene Gänge und über das Dach versuchten sie, doch noch in den Saal zu gelangen. Die Chormitglieder taten in dieser Situation das ihre: Sie verliehen schlicht ihre Konzertkleidung und die Noten, um russischen Studenten, die dann als Chormitglieder getarnt waren, den Zutritt zu ermöglichen. Diese saßen dann während des Konzerts dichtgedrängt hinter dem Podium auf dem Fußboden. Die Eindrücke dieser Reise waren überwältigend, die Strapazen enorm – und dennoch beflügelte das Erlebte den Chor ganz offensichtlich zu Höchstleistungen, wie es Kammersänger Kieth Engen in einem Reisebericht für die Abendzeitung am 27./28.4.1968 formulierte: „Sie hatten allen Grund, müde zu sein – körperlich und stimmlich, aber dann passierte eines dieser Wunder, das wir manchmal auf dem Podium oder auf der Bühne erleben dürfen: Sie sangen eine der schönsten h-Moll-Messen, die ich sie je habe singen hören. Ich glaube, ich darf es auch im Namen meiner Solistenkollegen, des großartigen Bach-Orchesters und Karl Richters aussprechen: Es war eine Freude, an diesem Abend euer Partner zu sein!“

Seit 1964 hatte sich Karl Richter von der Bach-Woche Ansbach zurückgezogen; stattdessen wurden in München eigene Bach-Feste geschaffen, in denen er seine künstlerischen Vorstellungen besser verwirklichen konnte, als es ihm im Ansbacher Rahmen möglich war. Diese Bach-Feste wurden in den ersten Jahren jährlich veranstaltet und entwickelten sich schnell zu Publikums-Magneten. Richter holte sich hochkarätige Künstler aus aller Welt als Partner nach München, scheute sich aber auch nicht, Interpreten und Ensembles zu präsentieren, die eine seiner eigenen Musizierweise gänzlich entgegengesetzte Interpretation bevorzugten. So führte Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus Wien bereits während des Bach-Festes 1971 Orchesterwerke von Johann Sebastian Bach auf historischen Instrumenten auf, mit dem Cembalisten Gustav Leonhardt wurde im selben Jahr ein zweiter Spezialist für historische Aufführungspraxis verpflichtet. Man legte Wert auf Vielseitigkeit und eine große Bandbreite der Aufführungen, nicht aber auf repräsentative Spielorte: Das Bach-Fest 1976 fand zum Beispiel außer in der Markuskirche nur in der Musikhochschule und in der Lukaskirche statt, auf die großen Konzertsäle der Stadt wurde verzichtet.

 

Der Münchener Bach-Chor als Repräsentant des Medienzeitalters
Nachdem bereits Ende der fünfziger Jahre eine Reihe von Schallplatteneinspielungen produziert worden waren, kam es in den sechziger und siebziger Jahren zu einer wahren Flut von Aufnahmen für die Deutsche Grammophon Gesellschaft, ab 1969 mit der vermehrten Bedeutung des Fernsehens auch zu mehreren großen TV-Produktionen. Aufnahmen bedeuteten für das Ensemble in der Regel mehrere Tage der Abwesenheit vom Dienst und unbezahlten Urlaub, der durch die von den Produktionsfirmen ausgezahlten Tagegelder nicht immer ausgeglichen werden konnte. Im Jahr 1969 war die zeitliche Belastung der Chormitglieder schließlich ausgereizt, wie der folgende Jahresplan zeigt:

Veranstaltungsplan 1969 (nur Konzerte und Aufnahmen, keine Proben)
04. Januar

19. Januar

30. Januar

09. Februar

11. Februar

23. Februar

28. Februar

09. März

15. März

30. März

09. April

23. April – 11. Mai

30. Mai

07. Juni

15. Juni

21. Juni – 29. Juni

06. Juli

09. Juli – 10. Juli

13. Juli

27. Juli

05. August – 08. August

19. September – 21. September

26. Oktober

27. Oktober

23. November

28. November

10. Dezember

11. Dezember

13. Dezember

20. Dezember

„Weihnachtsoratorium“ Teil II

Gottesdienst in St. Markus

Kantatenkonzert

Gottesdienst in St. Markus

J. Haydn, „Die Jahreszeiten“

Gottesdienst in St. Markus

G. Verdi, „Messa da Requiem“

Gottesdienst in St. Markus

J.S. Bach, „Johannes-Passion“

J.S. Bach, „Matthäus-Passion“

G.F. Händel, „Giulio Cesare“ (Aufnahme für DG)

Konzertreise nach Japan mit J.S. Bach, „Matthäus-Passion“ (3x),
„Johannes-Passion“ (1x), „Messe h-Moll“ (3x), Kantaten (Nr. 12,30,31,50,103,147), „Magnificat“

Motettenkonzert in St. Michael

Motettenkonzert in Schwetzingen

Gottesdienst in St. Markus

Bach-Fest in München mit Motetten, Kantaten (2x), „Johannes-Passion“ und „Messe h-Moll“

G.F. Händel, „Belsazar“ in Ottobeuren

Kantaten-Aufnahmen für DG

Gottesdienst in St. Markus

Kantatenkonzert (Nr. 21,55)

L. v. Beethoven, „C-Dur-Messe“ (Aufnahme für DG)

J.S. Bach, „Messe h-Moll“ (Fernseh-Aufzeichnung in Dießen)

Gottesdienst in St. Markus

G.F. Händel, „Der Messias“

Kantatenkonzert (140,20,95)

Motette in St. Michael

„Weihnachtsoratorium“ Teil I

„Weihnachtsoratorium“ Teil II

„Weihnachtsoratorium“ Teil I+II in Salzburg

Weihnachtsliederabend

Karl Richter, 1969
Karl Richter, 1969
Von etwa Mitte der siebziger Jahre an nahm der Umfang der Verpflichtungen für den Chor ab. Dies hatte einerseits interne Gründe: Alle bedeutenden Werke von Johann Sebastian Bach und wichtige Werke von etlichen anderen Komponisten wie W.A. Mozart, L. v. Beethoven, Chr. W. Gluck oder G. F. Händel lagen bereits als Schallplatteneinspielungen vor; bis zu diesem Zeitpunkt waren außerdem insgesamt etwa 80 der geistlichen Kantaten Bachs für die Deutsche Grammophon aufgenommen worden. Andererseits wirkte sich die mit der Ölkrise beginnende wirtschaftliche Rezession auch auf den Kulturbetrieb aus: In- und ausländische Veranstalter sahen sich nicht mehr ohne weiteres in der Lage, Reisekosten für ein ca. 140-köpfiges Ensemble zu finanzieren, und öffentliche Fördergelder flossen spärlicher. Waren viele der Reisen des Chores vorher noch mit großzügiger Unterstützung des Auswärtigen Amtes zustande gekommen, so musste man nun versuchen, die Unkosten aus eigenen Mitteln beziehungsweise mit Hilfe der Eintrittsgelder zu decken. Dennoch blieb der Chor im internationalen Geschäft, und auch die Bach-Feste in München waren weiterhin Anziehungspunkte für die Besucher, von denen nicht wenige eigens zu diesem Anlass nach München reisten.

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Karl Richter zunehmend auch der großen Symphonik und der Oper, vorrangig in München, Wien und Buenos Aires. Nach einer kurzen Phase eingeschränkter Tätigkeit, bedingt durch gesundheitliche Probleme und die Verlegung seines Hauptwohnsitzes in die Schweiz, widmete er sich wieder besonders intensiv der Arbeit mit „seinem“ Chor und reiste regelmäßig nach München, um die Mehrzahl der Proben selbst halten zu können. 1979 nahm er die “Matthäus-Passion“ nochmals für die Deutsche Grammophon auf. Im Jahr 1980 entstanden neue Planungen für große Projekte, unter anderem für eine dreiwöchige Tournee durch Japan, die im Mai 1981 stattfinden sollte.

Der Münchener Bach-Chor nach Karl Richters Tod (1981-1984)

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Hanns-Martin Schneidt (1984-2001)

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Interimszeit unter Philipp Amelung ( 2001 – 2005 )

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